Bischof Scheuer: "Der Mensch ist dem Menschen von Natur aus Freund"

Zu Empathie, Solidarität und gesellschaftlicher Verantwortung hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer am Dienstagabend im Wiener Stephansdom beim Festgottesdienst zur aktuellen Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz aufgerufen. Der Mensch sei "dem Menschen von Natur aus ein Freund", betonte Scheuer in Anlehnung an das biblische Bild des "guten Hirten" und verteidigte die Fähigkeit zum Kompromiss, der "weder faul noch feige, sondern Ausdruck des Willens zum Miteinander und zur Versöhnung" sei. Kritik übte er hingegen an einer "Globalisierung der Gleichgültigkeit" als Folge einer Wohlstandskultur, die unempfindlich gegen das Leiden anderer mache in der Haltung eines "es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an".
Ein dauerhafter Friede sei jedoch "ohne Gerechtigkeit, ohne den Schutz der Menschenrechte, ohne Freiheit und ohne die Achtung des Rechts" nicht möglich, betonte der Linzer Diözesanbischof und stellvertretende Bischofskonferenz-Vorsitzende. Angesichts von 80 Jahren Frieden und Demokratie in Österreich "sollten wir nicht zu denen zählen, die dem Faszinosum des Gegeneinanders, des Konfliktes und des Krieges nachtrauern", so Scheuer. Friede, Demokratie und Sozialpartnerschaft seien kein Verdienst der Nachgeborenen, sondern ein "kostbares Gut", das bewahrt werden müsse.
Dem Festgottesdienst stand der Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz vor. Die viertägige Vollversammlung der Bischöfe in Wien dauert noch bis Donnerstag und steht im Zeichen zahlreicher Begegnungen, darunter mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Nuntius Erzbischof Pedro Lopez Quintana sowie Vertretern der Caritas und der Orientalisch-orthodoxen Kirchen.
"Hüter und Anwalt des Lebens"
In seiner Predigt unter dem Titel "Der Wolf und der Hirte" nahm Bischof Scheuer philosophische und gesellschaftliche Grundfragen in den Blick. Der Mensch sei nicht - wie der Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) es beschrieben habe - von Natur aus ein Wolf für den anderen ("Homo homini lupus"), sondern "zur Kooperation, zur Freundschaft und zur Verantwortung füreinander berufen". Gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehe somit nicht durch Abgrenzung, sondern durch Mitgefühl und Bereitschaft, "Hüter des Lebens" zu sein.
Als einen "modernen Pranger des 21. Jahrhunderts" bezeichnete Scheuer aktuelle Spaltungs- und Empörungskultur-Tendenzen in sozialen Medien, wo Menschen verurteilt und bloßgestellt werden würden. Ähnlich kritisch betrachtete er sogenannte "Blasen", in denen eine Haltung der Selbstgerechtigkeit, "Mitleid mit sich selbst" und eine "Hermeneutik des Verdachts", die das gesellschaftliche Klima vergifte, vorherrsche. "Haltungen, die nur auf Distanz gehen und sich heraushalten, wie die Rollen des Zuschauers, des reinen Beobachters, der bloßen Kritik ohne Solidarität, des Zynikers ohne Ehrfurcht, des Richters von außen... kommen aus der eigenen Blase, aus der Bubble nicht heraus", so das Fazit Scheuers.
Die Verwundbaren der Gegenwart
Mit Bezug auf den Philosophen Ernst Bloch (1885-1977) und den Feldkircher Bischof Benno Elbs mahnte Scheuer, Kälte und Gleichgültigkeit gegenüber Leidenden zu überwinden. "Wir dürfen niemals vergessen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie aufhören, die Weltmuttersprache, die Empathie, zu sprechen", zitierte Scheuer Elbs.
Ein tragfähiges Miteinander entstehe nur durch persönliche Begegnung und Nähe zu jenen, "die verwundet, verwaist oder vergessen sind". Als Beispiele nannte der Linzer Bischof die Verwundbaren der Gegenwart, die nicht die materiellen und psychischen Ressourcen hätten, wie Armutsgefährdete, Pflegebedürftige oder Flüchtlinge. "Ohne Berührung mit der Not kommen wir nicht zu einem tragfähigen Miteinander, zu Kooperation in der Gesellschaft und in der Kirche", erinnerte Scheuer.
Quelle: kathpress (04.11.2025)





