
Zulehner: Nach "Rohdiamant" Franziskus nun "Kirchenjuwelier" Leo?
Wird es dem neuen Papst Leo XIV. gelingen, das, was Papst Franziskus charismatisch in die Welt gesetzt hat, in Strukturen zu fassen? Diese Frage stellt der Wiener Theologe Paul Zulehner in der "Kleinen Zeitung" vom Sonntag im Blick auf das anbrechende Pontifikat. Leo stehe vor großen Herausforderungen, "einerseits von der Welt her, andererseits von der Kirche, die sich dezentralisiert hat", sagte Zulehner im interview. Die Frage werde somit spannend: "Wie hält der Papst das durch eine kompetente, neue Form der synodalen Amtsausübung zusammen?"
Papst Franziskus bezeichnete der Theologe als "so etwas wie ein Rohdiamant, ungeschliffen, manchmal geradezu ungehobelt". Nun brauche es einen "Kirchenjuwelier". Zulehner: "Wenn es Leo XIV. gelingt, gleich wie Franziskus eine visionäre Gestalt zu sein, sich für den Frieden und die Schöpfung stark zu machen, dann hat er die Chance, eine ähnliche Glaubwürdigkeit zu gewinnen."
Eine Weltkirche wie die katholische braucht nach Überzeugung Zulehners "unbedingt Menschen mit der Fähigkeit an der Spitze, sich in dieser sprachlich sehr bunten Welt ausdrücken zu können". Leo XIV. habe als polyglotter Papst ein "hervorragendes Repertoire, um ein Global Player zu sein, um sich im Dialog gut verständigen zu können". Freilich sei aktuell alles, was Zukunft betrifft, unsicher. So gesehen sollte man Papst Leo ein bisschen Zeit lassen, um in diesem ungeheuer herausfordernden Amt Tritt zu fassen, regte Zulehner an.
Ergebnisse der Weltsynode sichern
Als konkrete Aufgabe für Leo nannte der Theologe die Ergebnisssicherung des dreijährigen synodalen Prozesses der Weltkirche. Bisher sei alles nur auf Papier geschrieben. "Nun ist es an Leo XIV. Nägel mit Köpfen zu machen." Gleiches gelte für sensible Fragen in der Ökumene, beim Diakonat für Frauen oder dem Einsatz von verheirateten Männern in priesterlosen Gemeinden im Amazonasgebiet. Papst Leo gilt laut Zulehner als Teamplayer, und sein amerikanischer Pragmatismus werde ihm im neuen Amt zugutekommen.
Mit Blick auf das Verhältnis des gebürtigen US-Amerikaners mit Präsident Donald Trump geht Zulehner - wie er sagte - davon aus, dass er seinem Prinzip treu bleibt: Dialog im Respekt. Zugleich werde Leo XIV. "mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg halten. Und der prophetischen Kraft des Evangeliums treu bleiben."
Für die Zukunft der Kirche erwartet der Theologe eine Entwicklung weg vom Zentralismus hin zu einer polyzentrischen Ausrichtung. Sie werde viele regionale Zentren besitzen. Wenn es dem Papst gelingt, diese Vielfalt zu versöhnen, könne das auch als Modell für den Dialog mit den anderen christlichen Kirchen, aber auch mit den großen Weltreligionen dienen, sagte Zulehner. Und er rief Papst Johannes XXIII. in Erinnerung, der Brückenschläge zu allen Menschen guten Willens gesucht habe - "etwas, das heute wichtiger denn je ist".
Quelle: kathpress