Politiker haben Blickkontakt mit der Not verloren
Eine Themenverfehlung attestiert Caritas-Präsident Michael Landau der heimischen Bundesregierung in ihrer politischen Schwerpunktsetzung. Die Politiker hätten den Blickkontakt auf die tatsächliche Not der Menschen verloren. Es sei sehr irritierend, so Landau in einem "Wiener Zeitung"-Interview, dass die wesentlichen Themen, die ganz viele Menschen betreffen, wie Arbeitslosigkeit, Zukunft der Pflege oder Bildung überhaupt nicht angemessen von den Regierungsverantwortlichen adressiert würden. "Man gewinnt manchmal den Eindruck, dass wir eine Regierung haben, die aus einem Dutzend Asylexperten besteht - wenn sie sich nicht gerade mit Zäunen beschäftigen", so der Caritas-Präsident wörtlich.
Insofern sei es verständlich, "dass sich jemand alleine gelassen fühlt, der zum Beispiel seit Jahren nach einer Arbeit sucht, oder sich um die Zukunft der Kinder und Enkel sorgt". Dieser Verantwortung müssten sich die Politiker stellen. Landau: "Als vor einem dreiviertel Jahr die gesamte Bundesregierung diskutiert hat, wie ein Zaun aussehen soll - das war einfach nur peinlich."
Der Blickkontakt mit der Not sei verloren gegangen. Landau: "Ich fahre zum Beispiel sehr oft mit der U-Bahn und bin dort noch keinem Politiker begegnet - aber auch Bischöfe sieht man eher selten." Es gehe um Fairness und Gerechtigkeit. "Wir müssen wieder auf die Ränder der Gesellschaft schauen und dorthin, wo es brüchig wird. Es geht ums Wohnen, um eine Arbeit, von der man leben kann, ums Heizen, um Zugang zur Bildung für Kinder aus sozial schwachen Familien."
Landau ortet "politischen Notstand"
Auf die umstrittene Asyl-Notverordnung angesprochen meint der Caritas-Präsident, dass es in Österreich eher einen "politischen Notstand" gebe als einen realen: "Ein Stück weit ist das Politik-Versagen. Ich würde mir wünschen, dass dieselbe Energie, die in die Notstandsverordnung gesetzt wird, in eine Solidaritätsverordnung gesteckt wird. Wir haben keine Flüchtlingskrise in Europa, sondern eine Solidaritätskrise."
Nichts hindere aber solidarisches Handeln so sehr wie Angst. Landau: "Ich halte es für hochproblematisch, wenn Politiker im Wahlkampf gezielt Ängste schüren und mit den Gefühlen von Menschen spielen. Diese Ressentiments vergehen ja nicht nach dem Wahltag. Sie schaden der Gesellschaft nachhaltig."
Der Caritas-Präsident ortet vor allem auch eine negative Stimmungsmache in sozialen Netzwerken: "Der Hetze im Netz müssen wir entgegentreten. Die Entwicklung ist besorgniserregend." Soziale Medien würden zwar Chancen eröffnen, "bergen aber auch die Gefahr zu einem selbstreferentiellen Echoraum negativer Emotionen zu werden, in dem die eigene Dichtung mit der Wahrheit verwechselt wird".
Er wolle aber nicht so sehr die Rede von der Spaltung der Gesellschaft strapazieren als auch darauf hinweisen, dass es vielmehr eine Gespaltenheit in jedem Einzelnen gebe. "Eigentlich hat jeder Mensch die Bereitschaft, unmittelbar zu helfen, wenn er Menschen sieht, die in Not sind. Aber es gibt gleichzeitig Sorgen und Ängste." Die entscheidende Frage sei: "Gelingt es uns, auf diese Sorgen und Ängste einzugehen und sie zu beantworten? Oder wird mit diesen Sorgen und Ängsten gespielt? Das halte ich für verantwortungslos. Das ist die große Herausforderung, vor der wir heute stehen."
Der Caritas-Präsident zeigt sich trotz aller Probleme grundsätzlich zuversichtlich: Sehr viele Menschen in Österreich seien bereit, sich solidarisch zu engagieren. "Es kommt auf jeden und jede Einzelne an. Jeder kann mitgestalten. Es gibt einen guten Grundwasserspiegel der Solidarität in unserem Land."
Quelle: kathpress